Peinlicher ShowkampfThierry Breton in der Arena von Elon Musk

Thierry Breton will den Druck auf Elon Musk erhöhen und schickt ihm einen Brief auf dessen eigener Plattform. Damit begibt sich der EU-Kommissar in die Arena des Konzernchefs und bietet diesem die perfekte Bühne. Weniger Showkampf und mehr Langeweile würde der Rechtsdurchsetzung gut tun! Ein Kommentar.

Elon Musk reckt den Arm im Boxring vor einem großen Publikum.
Thierry Breton begibt sich ins Stadion von Musk. (generiertes Symbolbild) – Public Domain generiert mit Midjourney

Der EU-Kommissar für den Binnenmarkt und Dienstleistungen, Thierry Breton, stellt Twitter-Chef Elon Musk einen Beschwerdebrief zu. Auf der Plattform selbst. Inhaltlich geht es im Brief um Desinformation auf der Plattform in Bezug auf die Terrorattacken von Hamas gegen Israel. Musk solle illegale Inhalte löschen und innerhalb einer Frist von 24 Stunden reagieren, so wie es der Digital Services Act vorschreibt.

Das Anliegen der Beschwerde, die auch eine Androhung von Strafen enthält, ist richtig. Auch Transparenz ist richtig. Doch was wir hier sehen, ist die Vershowkampfung von Politik: Die Rechtsdurchsetzung der Europäischen Union als öffentlicher Schlagabtausch zweier Männer im emotionalen Boxring der sozialen Medien. Man fühlt sich unweigerlich an die Show von Elon Musk und Mark Zuckerberg erinnert, die sie wochenlang um einen möglichen Käfigkampf aufgeführt haben.

Da möchte Breton wohl auch mitspielen. Der EU-Kommissar Boxkämpfer war einst selbst Konzernchef und fällt sonst vor allem durch Industrienähe auf. Jetzt wünscht er sich offenbar Beifall für seinen „harten Brief“ und lechzt gleichzeitig nach einer Reaktion von einem der mächtigsten Männer der Welt. Für diesen Kampf begibt er sich allerdings ins Stadion von Elon Musk. In diesem Heimkampf reagiert Musk natürlich prompt und nutzt die Gelegenheit umgehend für einen Gegenangriff mit gespieltem Unwissen. Musk fordert Beweise und garniert dies mit einem französischen „Merci beaucoup“, worauf Breton wieder zum Schlag ausholt

Bitte mehr Langeweile und Konsequenz!

Das alles findet selbstredend vor den Augen zehntausender Musk-Fanboys statt, die nur darauf warten, ihrem Helden zu applaudieren und ihm treue Gefolgschaft zu schwören. Im Ring zwei Männer, außen herum das johlende Publikum. Alles folgt der Medienlogik von Elon Musks Plattform.

So geht das nicht! Mit einer solchen Inszenierung von Rechtsdurchsetzung macht sich die EU lächerlich. Das ist letztlich eine Politisierung von Verwaltung, bei der sich die Europäische Union angreifbar macht. Breton hat schon mehrfach die direkte Ansprache an Musk auf Twitter genutzt, vor knapp einem Jahr großmäulig Elon Musk wegen Desinformation mit Abschaltung gedroht. Breton gefällt sich sichtlich in der Rolle des direkten Verhandlers mit dem mächtigen, reichen Mann.

Was wir aber bei der Durchsetzung des Rechts brauchen ist mehr Langeweile und weniger Show. Thierry Breton hat in seiner Funktion genug Macht, dass seine Pressemitteilungen und Statements weltweit durchschlagen. Es ist nicht die Aufgabe der EU, testosterongeladen auf den Tisch zu hauen, sondern die Verfehlungen von großen Plattformen transparent auf dem ganz normalem Verwaltungsweg zu verfolgen. Dann kann sie auch gerne empfindliche Strafen verhängen – und den Ankündigungen aus dem Boxring auch mal Taten folgen lassen.

 


Inhalt des Briefes


Brussels, 10 October 2023

Dear Mr Musk,

Following the terrorist attacks carried out by Hamas against Israel, we have indications that your platform is being used to disseminate illegal content and disinformation in the EU.

Let me remind you that the Digital Services Act sets very precise obligations regarding content moderation.

First, you need to be very transparent and clear on what content is permitted under your terms and consistently and diligently enforce your own policies. This is particularly relevant when it comes to violent and terrorist content that appears to circulate on your platform. Your latest changes in public interest policies that occurred over night left many European users uncertain.

Second, when you receive notices of illegal content in the EU, you must be timely, diligent and objective in taking action and removing the relevant content when warranted. We have, from qualified sources, reports about potentially illegal content circulating on your service despite flags from relevant authorities.

Third, you need have in place proportionate and effective mitigation measures to tackle the risks to public security and civic discourse stemming from disinformation. Public media and civil society organisations widely report instances of fake and manipulated images and facts circulating on your platform in the EU, such as repurposed old images of unrelated armed conflicts or military footage that actually originated from video games. This appears to be manifestly false or misleading information.

I therefore invite you to urgently ensure that your systems are effective, and report on the crisis measures taken to my team.

Given the urgency, I also expect you to be in contact with the relevant law enforcement authorities and Europol, and ensure that you respond promptly to their requests.

Moreover, on a number of other issues of DSA compliance that deserve immediate attention, my team will follow up shortly with a specific request.

I urge you to ensure a prompt, accurate and complete response to this request within the next 24 hours. We will include your answer in our assessment file on your compliance with the DSA. I remind you that following the opening of a potential investigation and a finding of non-compliance, penalties can be imposed.

Yours sincerely,

Thierry Breton

 

 

 

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

12 Ergänzungen

  1. Ihr habt ein Problem mit dem französischen EU-Kommissar Thierry Breton? Ok, kann man haben.
    Habt ihr auch ein Problem mit dem Inhalt seines Briefs?
    Dient die Veröffentlichung des Briefs auf eX-Twitter dem öffentlichen Diskurs?
    Sollte Kritik nicht genau dort angebracht werden, wo der Anlass herkommt?
    Gibt es denn schon Anzeichen für einen „Show-Kampf“? Ja? Welche?

    Den Gegner mit seinen eigenen Waffen schlagen. Einen Versuch ist das schon wert, finde ich.
    Ich kann Elon Musk nicht ausstehen, aber für meinen Kommentar würde ich ein „Symbolbild“ generieren, dass weniger an Agit-Prop-Plakate erinnert. Aber geschenkt. Euer Showkampf. Kommt bei mir nicht an.

  2. > Doch was wir hier sehen, ist die Vershowkampfung von Politik

    „Wir“? Ich sehr nur einen Brief, mit einem sehr berechtigten Inhalt. Danke übrigens für die Veröffentlichung des vollständigen Briefes hier.

    Aber was treibt den Kommentator dazu, sich bei einer Sache mit ernstem Hintergrund
    vgl. https://www.tagesschau.de/ausland/europa/israel-hamas-angriffe-x-musk-100.html

    sich in (lächerliche?) sportliche Metaphorik zu versteigen? Das erinnert irgendwie an mittelalterliche Zeiten, wo noch der Überbringer der Nachricht getötet wurde. Man könnte das auch als gelungene elektronische Vorab-Zustellung betrachten. Eine „Vershowkampfung“ findet nur in Köpfen statt, denen nicht besseres einfällt.

  3. Bildunterschrift: „Thierry Breton begibt sich ins Stadion von Musk.“

    Was man sieht und was man nicht sieht.

    Ein gealterter und zierlicher Thierry Breton in Boxershorts landet den finalen Haken.
    Das muskulöse Großmaul (I’m the greatest!) liegt platt wie seine Plattform am Boden.
    Die Masse auf dem Floor buht ihren vermeintlichen Helden aus. Sie haben ihr Idol verloren.

    Thierry bekommt den Loorbeerkranz. Kameraschwenk auf den nächsten Gegner: Mark Zuckerberg sein sonst so glattes Gesicht wirft Angstfalten.

  4. Zitat: I urge you to ensure a prompt, accurate and complete response to this request within the next 24 hours. We will include your answer in our assessment file on your compliance with the DSA. I remind you that following the opening of a potential investigation and a finding of non-compliance, penalties can be imposed.

    Falls ein Schreiben dieser Art sich auf dem Weg zu den Investoren befindet, sollte Elon mal fix seine Kriegskasse prüfen, ob er auch die Anwaltsgebühren des anstehenden Rechtsstreits noch aufbringen kann.

    Ist das Vertrauen in den CEO Elon X nicht mehr vorhanden, dürfen sich VW oder Mercedes über eine neue Mega Factory (aus der Insolvemzmasse) in Brandenburg freuen. Die Werktätigen werden gewerkschaftlich gutbetreut und die Arbeitssicherheit entspricht auch wieder den EU Normen. Die EU wird diesen aalglatten Geschäftsmodellen bald ein Ende bereiten.

    Ich denke, die Türen der EU haben sich für Elon X nun erst eimal geschlossen und üblicherweise ist dieser Zustand auch nicht wieder rückgängig zu machen. Wer Terror Gruppen (insbesondere der Hamas, aber auch anderen ) über die eigene Platform X eine Öffentlichkeit bietet, muß sich nicht über die harsche Reaktion der EU wundern.

  5. Ja, das Format der Übermittlung ist schwierig, aber ist der Inhalt nicht doch bedenklich? Sollte eine Überwachungsbehörde nicht mit konkreten Problemen einen „Verdächtigen“ konfrontieren? Für mich stinkt diese allgemeine Verklausulierung doch ziemlich nach den Bedenken, die im Zusammenhang mit dem DSA geäußert wurden: sie dient dazu, breitflächig zu zensieren und nicht genehme Informationen zu unterdrücken.

    Keine Frage – bei Twitter gibt es seit Musk sehr viel mehr Unsinn (das nicht strafrechtlich relevant ist). Aber sollten wir das in einer Demokratie nicht tolerieren?

    1. Für mich liegt die Grenze bei strafrechtlich relevanten Dingen. Darüber hinaus ist es für die Qualität einer Plattform vielleicht auch ganz gut, wenn diese aus sich selbst heraus Desinformation auf verschiedene Weise bekämpft. Was helfen uns als Gesellschaft Plattformen, die in offensichtlichen Falschinformationen ertrinken? Oder Plattformen wie Twitter, deren Besitzer Desinformation, Antisemitismus, rechtsradikale Narrative etc. fördert, evt. algorithmisch bevorzugt und selbst verbreitet? Dann entwicklen sich diese Plattformen als Waffe gegen demokratischen und gleichberechtigten Diskurs und die Demokratie selbst – sollten wir das in einer Demokratie tolerieren?

      1. „Desinformation, Antisemitismus, rechtsradikale Narrative“ sind doch aber genau das Problem. Da, insbesondere beim Ersteren und Letzteren, keine messerscharfe Definition existiert. Nehmen wir doch mal ein Beispiel: Mahnen vor der Abschaffung des Bargelds. Der Eine sieht darin sofort eine Verschwörung und verknüpft das mit anderen Verschwörungstheorien und EMPFINDET das also als „Desinformation“ und „antisemitisch“. Da das manch ein Rechter auch anmahnt obendrein „ein rechtsradikales Narrativ“.

        Und jetzt? Die Warnung löschen? Den Autor shadowbannen? Das DSA ist durch die schwammigen Formulierungen echt ein Einfallstor für Willkür der Exekutive. Man kann als Nutzer immer gehen. Keiner der Konzerne, die unter den DSA fallen sind so wichtig, als dass man (auch zum eigenen Seelenwohl) darauf nicht verzichten könnte.

        Das Abstimmen mit den Füßen fände ich trotzdem allemal besser als hier regierungskonforme Meinungskorridore vorzugeben.

  6. FYI

    https://www.theverge.com/2023/10/11/23912993/meta-israel-hamas-european-commission-digital-services-act-dsa

    Zitat :
    Responding to Breton on X Wednesday, Musk asked Breton to flag the violative content publicly on X, writing that the company takes its “actions in the open.” Breton replied saying, “You are well aware of your users’ — and authorities’ — reports on fake content and glorification of violence.”

    “I still don’t know what they’re talking about!” Musk later said to another X user.

  7. Mit der allermeisten Berichterstattung über eX-Twitter begibt man sich in diese Arena. Das war schon vor Musk so.

  8. Ich habe ein Problem mit jedwedem Versuch, Meinungen zu löschen. Sogar die Verbreitung von falschen Informationen ist ein völlig normaler Vorgang. Hier wird der Mensch gefordert, was er glauben soll und was nicht. Das mag natürlich unbefriedigend sein, doch was ist die Alternative?
    Werde ich nicht täglich von der Regierung und den unterworfenen Medien belogen? Erzählen mir Staatswissenschaftler nicht laufend vorgeschriebene „Erkenntnisse“? Da redet natürlich niemand der Zensur das Wort, was also bleibt, ist lediglich das Verunmöglichen von Lügen, die nicht von der Regierung verbreitet werden. Nein, dann will ich mich lieber der nicht kleinen Aufgabe stellen, selbst zu beurteilen, was ich glauben will und was nicht. Ein gesundes Mißtrauen ist stets hilfreich.
    Ich wünsche Herrn Musk, daß er diesen Wirren von der EU widersteht. Wenigstens er. Wer der EU noch traut, hat ohnehin die Kontrolle über seine Zukunft verloren.

    1. > Werde ich nicht täglich von der Regierung und den unterworfenen Medien belogen?
      Wo lebst Du?

      > Erzählen mir Staatswissenschaftler nicht laufend vorgeschriebene „Erkenntnisse“?
      In Deutschland ist die Wissenschaft frei. Wo leben deine „Staatswissenschaftler“?

      > Meinungen zu löschen
      Meinungsfreiheit hat bei uns juristische Grenzen. In Russland hingegen sind es politische Grenzen und physische Repression, die Meinungsfreiheit unmöglich macht.

      1. Ihr Nickname steht im krassen Gegensatz zu Ihren Worten.
        Pjotr K. macht sich stark für die Meinungsfreiheit, und das lobe ich ganz ausdrücklich. Doch Ihnen scheint es nicht zu gefallen. Wenn Sie nicht bemerkt haben, dass die Freiheit in Deutschland spätestens seit 2015 Stück für Stück abgeschafft wird, dass es Leute gibt, zu zurecht fragen, ob das GG überhaupt noch gültig ist, und ich erinnere auch an Verfassungsrechtler und ehemalige Verfassungsrichter, die Bücher darüber geschrieben haben, dann leben Sie offenbar in einer Blase.
        Befreien Sie sich!

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.